Übersäuerung im Magen - Die großen Mythen des Säure-Basen-Haushalts

Übersäuerung – 3 Mythen über den Säure-Basen-Haushalt

Raik Garve

Minuten Lesedauer

„Wir sind alle übersäuert!!“ „Fleischnahrung macht sauer und Gemüsenahrung macht basisch!“ „Eine Gewebe-Übersäuerung ist DIE Hauptursache für viele Zivilisationskrankheiten!“

So oder ähnlich lautet die typische Schwarz-Weiß-Malerei bezogen auf unseren Säure-Basen-Haushalt.

Das Motto: „Säuren sind schlecht und Basen sind gut“ ist nicht nur völlig falsch, sondern es hat dazu geführt, dass viele bewusste Menschen ihre Gesundheit unwissentlich geschädigt haben.

Welches die drei hauptsächlichen Mythen über den Säure-Basen-Haushalt sind, warum diese uns in die Irre führen und inwiefern das große Thema der Übersäuerung differenzierter zu betrachten ist, erfährst Du in diesem Blogartikel.


Inhaltsübersicht

Hier kannst Du das Video zum Blogartikel anschauen

Woher stammt der Mythos der Übersäuerung?

Am besten kann ich Dir diese Frage anhand der drei häufigsten Mythen über den Säure-Basen-Haushalt beantworten, die aus meiner Sicht vor allem Marketingzwecken dienen.


Der erste Mythos: Wir sind alle übersäuert!

Dass Übersäuerung die Ursache für beinahe sämtliche Zivilisationskrankheiten sei, hören und lesen wir allerorts. Und natürlich liegt dann der Gedanke nahe, dass Basen besonders gut für unsere Gesundheit seien, weil sie Säuren neutralisieren. Entsprechend bräuchten wir uns nur basisch zu ernähren, um gesund zu bleiben oder wieder zu werden.

Wenn das also stimmt, lautet die Frage: Wo genau sind wir denn übersäuert?

In der Schulmedizin wird unter Azidose – abgeleitet vom lateinischen „acidu“ (sauer) – eine Übersäuerung des Blutes verstanden. Da es sich hierbei um einen akut bedrohlichen Zustand handelt, sorgen die entsprechenden Puffersysteme sofort für eine Gegenregulation – bis unser Blut wieder seinen normalen leicht basischen pH-Wert hat.

Wenn wir chronisch übersäuert wären, wären wir laut dieser Definition also gar nicht überlebensfähig. Dies ist ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig es ist, Begrifflichkeiten zu hinterfragen bzw. sie sich bewusst zu machen.


Die zwei Arten von Übersäuerung

  • Azidose: chronische Übersäuerung des Gewebes / Zwischenzellraumes

  • Azidämie: akute Übersäuerung des Blutes

Wie bereits angedeutet, werden diese beiden Arten der Übersäuerung nicht immer richtig unterschieden: Zum Beispiel dann, wenn ein Schulmediziner unter Azidose zugleich eine lebensgefährliche Übersäuerung des Blutes versteht, obwohl es sich um eine Azidämie handelt.

Azidämie bezieht sich auf einen Zustand, in dem der pH-Wert des Blutes aufgrund eines erhöhten Säuregehalts im Blut niedriger als normal ist. Dies kann durch verschiedene Faktoren verursacht werden, wie beispielsweise durch Stoffwechselstörungen, Diabetes mellitus oder eine Vergiftung.

Lexikon der Medizin und Gesundheitswissenschaften von Roche (2018)

Was versteht man nun in der Naturheilkunde und Alternativmedizin unter einer Übersäuerung?

Die Naturheilkundler definieren Azidose als eine chronische Übersäuerung des Bindegewebes bzw. des Zwischenzellraumes als Folge einer gestörten Funktion des Säure-Basen-Haushaltes. Und das kann verschiedene Ursachen haben und kommt nicht über Nacht.

„Krankheiten befallen uns nicht aus heiterem Himmel, sondern entwickeln sich aus täglichen Sünden wider die Natur, wenn diese sich gehäuft haben, brechen sie scheinbar auf einmal hervor.“

Dass der Begriff Azidose in der Schulmedizin für eine Übersäuerung des Blutes verwendet wird, führt allseits zur Verwirrung: Der eine denkt an ein chronisch übersäuertes Bindegewebe, der andere an eine akute Übersäuerung des Blutmilieus. Wenn es dann auch noch pauschal heißt, wir alle seien übersäuert, dann ist die Schwarz-Weiß-Malerei komplett.


Was ist überhaupt ein Säure-Basen-Haushalt?

Mit dem Säure-Basen-Haushalt ist letztlich nichts anderes als unser Energiehaushalt gemeint. Energie braucht, damit sie fließen kann, immer bestimmte Konzentrationsunterschiede.

Daher gibt es zwischen den verschiedenen Gewebeabschnitten inner– und außerhalb der Zellen eine minimale pH-Differenz. Es herrscht keineswegs überall das gleiche pH-Milieu. Nur so kann ein Stoffaustausch zwischen dem Gewebe und dem Blutmilieu bzw. umgekehrt stattfinden.

Ein einfaches Beispiel: Wenn das Blut einen pH-Wert von 7,4 hat, dann liegt dieser im umliegenden Gewebe vielleicht bei 7,7 – also ein wenig basischer. Je basischer das Gewebe, desto saurer muss das Blut sein, um das entsprechende Konzentrationsgefälle aufrechtzuerhalten.

PH-Wert Skala

Die Regulationsfähigkeit unseres Körpers entscheidet über eine gute Anpassung und Regeneration. Das nennen wir Gesundheit. Wenn diese umgekehrt verloren geht, dann sprechen wir von einer blockierten Regenerationsfähigkeit oder Krankheit.


Zweiter Mythos: Fleisch macht sauer

... und in der letzten Konsequenz somit krank. Gemüsenahrung ist basisch und macht uns daher gesund. Dies ist ein weiteres Beispiel für eine typisch kindliche Schwarz-Weiß-Malerei.

Worauf beruht diese Behauptung? Die Vorstellung, dass Fleisch zu viele Säuren enthält und uns dadurch krank macht, während Gemüse entsprechende gesunde Basen enthält, geht auf den schwedischen Chemiker Ragnar Berg zurück.

Er untersuchte Anfang des 20. Jahrhunderts verschiedene Nahrungsmittel auf ihre sogenannten basischen und sauren Äquivalente, indem er die Zusammensetzung ihrer Aschen analysierte. Seine Ausgangsfrage lautete: Was bleibt nach der Verbrennung eines Apfels und was nach der Verbrennung eines Steaks übrig? Ragnar Berg musste später eingestehen, dass dieser monokausale Ansatz nicht funktioniert.

Ein für wohl jeden nachvollziehbares Beispiel ist die Krankheit Gicht. Durch erhöhten Fleischkonsum soll es zu Ansammlungen von Harnsäure im Bindegewebe kommen, woraufhin Kristalle entstehen, die für den Menschen sehr schmerzhaft sein können.

In der Natur haben Fleischfresser, wie zum Beispiel Löwen, keine Gicht. Es sei denn, dass sie in Gefangenschaft leben und Zivilisationskost bekommen. Fleischkonsum alleine reicht nicht aus, um einen Gichtanfall zu erklären. Hierbei spielen viele Faktoren eine Rolle: 

Eine Kohlenhydratreiche Ernährung, vor allem mit Getreide, führt zu einem Anstieg des Insulinspiegels und der Wachstumshormone, die unter anderem für die Bildung von Cholesterin oder vermehrter Harnsäure verantwortlich sind.

Damit eine Gicht aber tatsächlich entstehen kann, muss außerdem das Bindegewebe degeneriert sein, indem sich die Harnsäurekristalle abgelagert haben. Weiterhin spielen die Temperaturverhältnisse und der Lymphabfluss eine wichtige Rolle.

Wie wir an diesem Beispiel sehen können, gibt es nicht die EINE Ursache.

Doch leider lassen sich immer mehr Menschen von einer vereinfachenden Schwarz-Weiß-Malerei ins Bockshorn jagen. Meist zum Nutzen der ständig wachsenden Pharma- und Gesundheitsindustrie.


Dritter Mythos: Die Entstehung von Sodbrennen

Sodbrennen soll durch zu viel Magensäure entstehen. Auch dies ist ein sehr lukrativer Mythos.

Viele Menschen leiden unter Sodbrennen und die meisten nehmen dagegen Medikamente, vor allem sogenannte Protonenpumpenhämmer. Verharmlosend als „Magenschutz“ bezeichnet, zählen sie zu den am häufigsten verschriebenen Medikamenten. Es ist ein weltweites Multi-Milliarden-Geschäft.

Wenn nun aber nicht zu viel Magensäure für Sodbrennen verantwortlich ist, was ist dann die Ursache?

Mann leidet an Sodbrennen. Übersäuerung ist nicht die Ursache


Die zwei Hauptursachen für Sodbrennen

Die erste Ursache für Sodbrennen ist umgekehrt ein Magensäuremangel. Das ist heute viel öfter ein Problem als zu viel Magensäure. Warum?

Die Magensäure dient nicht nur der rein chemischen Zersetzung unserer Nahrung. Sie steuert vor allem auch den Spannungszustand des sogenannten „Magenöffners“, der zwischen Speiseröhre und Magen liegt. Haben wir zu wenig Magensäure, dann verändert der untere Ösophagussphinkter seinen Tonus und bleibt länger offen, so dass bei Bedarf jederzeit etwas Säure in die Speiseröhre nachfließen kann.

Im Falle eines Mangels an Magensäure wird unsere Nahrung natürlich mit weniger durchsetzt und entsprechend weniger aufgeschlossen. Unser Körper versucht daraufhin diesen Mangel auszugleichen, indem er durch eine stärkere Bewegung des Magenmuskels die vorhandene Menge an Magensäure optimal nutzt. Durch die stärkere Peristaltik kann nun etwas Säure nach oben gelangen und Sodbrennen verursachen.

Auf diese Weise verweilt unsere Nahrung länger im Lumen des Magens als üblich. Und die dort herrschenden 37 Grad bieten beste Bedingungen für Fäulnis und Gärung. Somit bilden sich weitere Säuren, wie zum Beispiel verschiedene Essig- und Buttersäuren. Auch diese können aufstoßen und zum sogenannten Reflux führen.

Die zweite wichtige Ursache für Sodbrennen ist der Rückfluss von Gallensäure aus dem oberen Dünndarm.

Wird unsere Leber durch Medikamente, Alkohol oder sich im Darm bildende Gifte wie Ammonium belastet, ändert sich die Zusammensetzung der von ihr produzierten Gallenflüssigkeit. Und es kommt zu einer Rückperistaltik im Darm.

Damit sind wir wieder beim Thema Säure-Basen-Haushalt. Ammonium ist ein Zellgift. Es wird durch seinen hochbasischen pH-Wert von ungefähr 12 zum hochgradig toxischen ätzenden Ammoniak.

Dieser zerstört die Mitochondrien in der Leber, sprich die für unseren Energiehaushalt so wichtigen Kraftwerke in den Leberzellen. Dadurch kann die Leber nicht mehr ihre volle Syntheseleistung erbringen und die Zusammensetzung der Gallenflüssigkeit verändert sich derart, dass diese uns aufstößt und Sodbrennen verursacht.

Ich hoffe, diese lebensnahen Beispiele machen deutlich, dass das Thema des Säure-Basen-Haushalts komplexer ist, als es oftmals dargestellt wird.

Schwarz-Weiß-Malen dient auch hier nur dem Marketing, um basische Produkte besser verkaufen zu können. Wenn man glauben macht, dass die Säure der Feind und die Übersäuerung die daraus resultierende Krankheit ist, lassen sich Basen in Form von Basenbädern, Basensalzen oder Basentabletten als Heilsbringer verkaufen.


Fazit

Es gibt natürlich noch mehr Mythen rund um den Säure-Basen-Haushalt. Aus meiner Sicht sind diese drei die wichtigsten. Falls die hier geschilderten physiologischen Zusammenhänge für Dich komplett neu gewesen sein sollten, dann schau Dir gern zur Wiederholung obiges Video dazu an.

Mir ist wichtig, diese leider wenig bekannten Zusammenhänge anhand von Beispielen verständlich darzustellen, damit die Schwarz-Weiß-Malerei irgendwann einmal Ende haben wird.

Um Dich auf Deinem Weg der Erkenntnis zu unterstützen, stelle ich Dir auf meinen Blogseiten das notwendige gesundheitliche Basiswissen zur Verfügung. So kannst Du selbst für Dich und Deine Gesundheit besser sorgen.

Teile diesen Blogartikel und das Video gern auch mit Deinen Freunden, Verwandten und Bekannten, falls Du glaubst, dass es auch für sie wichtig sein könnte, über das Thema der Übersäuerung neu nachzudenken.

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Bis dahin wünsche ich Dir alles Gute und vor allem bleib gesund!

Über den Autor RAIK GARVE

Raik Garve ist seit 2005 Gesundheitslehrer und Dozent in der Erwachsenenbildung. In seinen im gesamten deutschsprachigen Raum gehaltenen Vorträgen, Seminare und Webinaren vermittelt er seit vielen Jahren verständlich und praxisnah das gesamte Spektrum der Schul-, Natur- und Informationsmedizin. Das Ziel seiner Arbeit ist die Synthese von Erkenntnissen der klassischen Lehrschulmedizin mit der Jahrtausende alten Erfahrungsheilkunde zu einem für jeden Menschen leicht nachvollziehbaren und praktisch im Alltag umsetzbaren Gesamtkonzept. Mit diesem Wissen kann jeder zum Experten für die eigene Gesundheit werden.

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